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Genderarchäologie – Kampf gegen Klischees

Über Jahrhunderte war die Archäologie eine reine Männerdomäne. Erst in den 1960er-Jahren gab es erste Professorinnen auf dem Gebiet. Nicht erstaunlich also, dass sich viele Rollenklischees lange hielten. Heute versuchen männliche wie weibliche Archäologinnen und Archäologen, historische Gesellschaftsstrukturen aufgrund von Forschungserkenntnissen ohne Scheuklappen einzuschätzen.


Klischeevorstellung aus früheren Zeiten: Frauen bei der Hausarbeit. Modell der Pfahlbausiedlung Arbon-Bleiche 3 im Historischen Museum Schloss Arbon, Foto: AATG, D. Steiner.

Ursprünglich entspringt die Archäologie aus dem Konflikt, der sich zwischen Theologie und Geologie auftut. Waren bei der Theologie Überzeugungen und Wertsysteme wichtig, machte die Geologie auf der anderen Seite Entdeckungen, welche oft nicht zu diesen Vorstellungen zu passen schienen.
Jahrhundertelang waren Archäologen vorwiegend Ärzte, Lehrer oder Pfarrer. Und sie waren Männer. Prähistorische Gesellschaften stellten sie sich als Abbilder der Gegenwart vor und kamen gar nicht auf die Idee, dies infrage zu stellen. Verkürzt dargestellt: Der Mann jagt, die Frau sammelt und zieht den Nachwuchs auf. Entsprechend sahen auch die Darstellungen in Lehrbüchern und die Modelle in den Museen aus – auch im Museum für Archäologie Thurgau. Als man begann, stereotype Rollenzuschreibungen auf Frauen und Männer zu hinterfragen, wurden sie auch in der Archäologie einer genaueren Überprüfung unterworfen. Eine Vorreiterrolle spielte hier sicher die Basler Professorin Brigitte Röder. Sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter brachen eine Debatte los, die noch heute andauert.
Inzwischen geht man davon aus, dass die geschlechterspezifischen Aufgaben in Jungstein- und Bronzezeit viel verwischter waren. Durch die hohe Sterblichkeit war die Notwendigkeit gegeben, Familienverbände flexibel zu gestalten. Weil ein Partner, eine Partnerin gestorben war, gab es viele Patchwork-Familien. Jeder musste mit anpacken – auch die Kinder hatten ihren Teil zum Lebensunterhalt beizusteuern. Heute vergisst man oft, dass Kinderarbeit in der Schweiz noch bis in 19. Jahrhundert hinein völlig normal war.
Kurzum: Frauen und Männer waren beide ein wichtiger Teil der Gemeinschaft und mussten hart arbeiten. Das sieht man auch an den Abnutzungen der Gelenke. An den Skeletten von Bergleuten der Bronzezeit kann man ablesen, dass es eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung gab. In den Salzbergwerken der damaligen Zeit waren wohl die Männer diejenigen, die das weisse Gold mit Hacken abbauten, während die Frauen es anschliessend aus den Stollen schleppten. Betrachtet man sich die Grabbeigaben der Bronzezeit, sieht man, dass Männer wie Frauen Anspruch auf Besitz hatten und zu Reichtum kommen konnten. Bemerkenswert sind auch äusserst kostbare Beigaben in den Gräbern von keltischen «Fürstinnen». Die Art der Beigaben entspricht aber zumeist den gängigen Vorstellungen: In Männergräbern lagen Waffen,  den Frauenleichen gab man Schmuck ins Jenseits.
Dank moderner Analysemethoden konnte man auch aufzeigen, dass in der Vorgeschichte die Frauen üblicherweise zuzogen und die Männer ortsansässig waren. Woraus man schliessen kann, dass der Besitz in der Regel über die männliche Linie vererbt wurde.
Nicht alle Vorstellungen haben sich als falsch erwiesen. Aber die Gesellschafts- und Organisationsstrukturen der Jungstein- und Bronzezeit waren vielschichtiger und facettenreicher, als es sich die Archäologen der Vergangenheit ausgemalt hatten. Auch das Museum für Archäologie Thurgau hat viele Exponate überprüft und angepasst. Oft macht Museumsleiter Urs Leuzinger ein Mädchen zur «Chefin» bei Führungen. Aber die schickt dann doch die Jungs zum Jagen in den Wald.