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Eingemotteter Meilenstein europäischer Geschichte

Als sich Napoleon III. 1870 in Sedan (Ardennen) ergibt und in seiner offenen Kutsche ins Lager des Feindes fährt, jubeln ihm die Soldaten zu. Sie wissen, dass er ihnen damit das Leben rettet. Diese Tat, und was darauf folgt, sollten das 20. Jahrhundert prägen. Der Kutschentross, mit dem Napoleon III. sich Bismarck auslieferte, steht heute in einem Lager in der Nähe des Napoleonmuseums.


Eingemottet: der Kutschentross von Napoleon III.

Wenn man das 20. Jahrhundert betrachtet, mit all seinen Kriegen und Katastrophen, so sind diese vielleicht genau auf diesen Moment zurückzuführen. Nachdem Napoleon III. kapituliert hat, bildet sich in Paris eine neue nationale Regierung, die ihn für abgesetzt erklärt und die Republik ausruft. Sie führt den Deutsch-Französischen Krieg trotz der verheerenden Niederlage in Sedan fort und verlängert ihn um schmerzliche vier Monate. In diesem Krieg kämpfen zwar deutsche (oder deutschsprachige) Truppen, Deutschland, oder genauer das Deutsche Kaiserreich, wird als Staat aber erst nach dem Fall von Paris und der endgültigen Niederlage Frankreichs proklamiert – ausgerechnet im Spiegelsaal zu Versailles.

Für diese Schande, den Verlust Elsass-Lothringens und die hohen Reparationszahlungen «revanchiert» sich Frankreich beim Deutschen Reich nach dem Gewinn des Ersten Weltkrieges. Jetzt sind es die Deutschen, welche äusserst harte Bedingungen hinnehmen müssen – symbolträchtig erneut im Spiegelsaal von Versailles. Was wiederum eine wichtige Ursache für den Zweiten Weltkrieg darstellt.


Landauer, mit dem Napoleon III. zur Kapitulation fährt

Odyssee eines historischen Schatzes
Aber zurück zu Napoleon III. Mit dem Kutschentross fährt er ins Dorf Donchery, wo er Wilhelm I. vermutet, den König von Preussen und nachmaligen Kaiser des Deutschen Reichs. Stattdessen trifft er dessen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto Graf von Bismarck an, mit dem er gemeinsam nach Frénois ins Château de Bellevue fährt – wiederum mit eben unserem Kutschentross – und auf den preussischen Monarchen trifft. Nach der Kapitulation wird Napoleon III. zunächst im Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel interniert. Während dieser Zeit lässt er Arenenberg am Untersee auf seine Ankunft vorbereiten – das Schloss seiner Kindertage soll sein Exilsitz werden. Von hier will er seine Rückkehr auf den französischen Thron planen. Das Schloss wird modernisiert und mit allem Notwendigen ausgestattet. Auch der Kutschentross aus Sedan gelangt in diesem Zusammenhang in den Thurgau.

Schlussendlich fährt Napoleon III. nach London, wo sich auch seine Frau Eugénie und sein Sohn befinden. Das Paar ist tief zerstritten, Eugénie wirft ihm Feigheit vor und bedauert, dass er nicht im Kampf gestorben ist. Napoleon III. ist schwer krank – wahrscheinlich erhofft er sich von Londons Chirurgen Heilung. Nur gesund und mit dem beliebten kaiserlichen Prinzen (dem designierten Thronfolger) an seiner Seite kann er eine Rückkehr auf den Thron erhoffen. Aber Napoleon III. stirbt 1873 in London. Fortan nutzt Eugénie den Arenenberg als Sommersitz und lässt sich mit dem legendären Kutschentross durch die Gegend chauffieren. 1879 stirbt auch der gemeinsame Sohn und damit die letzte Hoffnung auf den französischen Thron. Eugénie verliert das Interesse an Schloss Arenenberg und schenkt das Gut 1906 dem Kanton Thurgau.


Kaiserliches Gefährt: das Wappen von Napoleon III.

Der Kanton gründet auf dem Arenenberg eine landwirtschaftliche Schule. Fortan werden die Kutschen von einem Ort in den anderen verschoben, zuerst mehr schlecht als recht über Jahrzehnte im Zeughaus der Stadt Frauenfeld aufbewahrt, dann finden sie Unterschlupf in einem Kutschenmuseum. Auch dort hatte man schliesslich keinen Platz mehr für die Kutschen, weshalb die historische Kostbarkeit seit einigen Jahren an einem anderen Ort eingemottet ist.

Bis heute fehlt im Napoleonmuseum die Ausstellungsfläche, um diesen Meilenstein europäischer Geschichte zu präsentieren. 2008, zum 200. Geburtstag von Napoleon III., wird eine der vier Kutschen, der Landauer (offene Kutsche), in dem der Monarch zum König von Preussen fuhr, bei einer grossen Ausstellung in Konstanz gezeigt. Es ist das bisher letzte Mal, dass die Öffentlichkeit eine der Kutschen sieht.

 

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