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Javier Téllez und sein Thurgauer Narrenschiff

Die Gegend um Kreuzlingen verbindet eine lange – und nicht immer einfache – Vergangenheit mit der Psychiatrie. Der venezolanische Künstler Javier Téllez hat sich mit dieser Geschichte, insbesondere jener von Münsterlingen, beschäftigt und realisiert gemeinsam mit Menschen mit Psychiatrieerfahrung ein Filmprojekt auf dem historischen Lastenschiff «Lädine». Wir haben mit ihm darüber gesprochen.


Wir treffen Javier Téllez am Hafen Kreuzlingen.

Seine Augen funkeln wach und aufmerksam, als wir den Künstler treffen. Man merkt, dass ihm dieses Projekt eine Herzensangelegenheit ist. Engagiert spricht er davon. Schon lange habe Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau, seine Arbeit verfolgt und man schmiedete immer wieder Pläne, eine Projekt am Bodensee zu realisieren. Leider dauerte es wohl gegen zehn Jahre, bis das Ganze konkreter wurde – immer wieder standen Terminschwierigkeiten oder andere Umstände im Weg. 2019 schien es dann endlich loszugehen. Doch dann kam Covid. Und so hiess es, sich noch ein wenig länger zu gedulden.

Gemeinsam mit der bekannten Maskenbauerin Verena Steiger aus Steinen (Schwyz) wurden im Offenen Atelier der Stiftung Mansio in Kreuzlingen traditionelle Wachsmasken geschaffen, Menschen mit Psychiatrieerfahrung erarbeiteten das Drehbuch, unter Anleitung des Musikers Johannes Ötzbrugger wurden mehrere Lieder mit poetischen Texten entwickelt. Anfang Mai stach das Schiff, auf dem der Film gedreht wurde, endlich in See. Dass der Film auf einem historischen Lastenschiff realisiert wurde, ist eine Reminiszenz an die Erzählung «Narrenschiff» von Sebastian Brandt, einer bebilderten Moralsatire aus der Reformationszeit, die auch Hieronymus Bosch zu einem Gemälde inspiriert hatte.

«Ich stiess auf die Geschichte, dass der berühmte französische Philosoph und Autor Michel Foucault 1954 Münsterlingen besuchte und das damalige Fasnachtstreiben miterlebte. Das erinnerte mich daran, wie mein Vater, Psychiater wie meine Mutter, in meiner Jugend in der psychiatrischen Klinik, in der er arbeitete, Karnevalsfeste mit den Klienten veranstaltete. Eigentlich waren eh alle in der Klinik dauernd kostümiert – die Klienten und das Pflegepersonal: Alle trugen sie Uniformen. Und manchmal waren die beiden Gruppen nicht so leicht zu unterscheiden», schmunzelt der Künstler, der heute in New York lebt.

«Diese Verbindung, Karneval und Narrenschiff, das hat mich fasziniert. Ich wollte den Betroffenen eine Möglichkeit geben, sich auszudrücken, Bilder, Geschichten, Musik zu schaffen, ihre Gefühle der Gesellschaft gegenüber zu formulieren. So arbeitete ich beispielsweise auch schon mit Blinden und Flüchtlingen.» Javier Téllez lacht schallend: «Einst liess ich eine ‹menschliche Kanonenkugel› über den Grenzzaun von Mexiko in die USA schiessen. Das erregte ziemlich viel Aufsehen. Solche Interventionen finde ich spannend.»

Und wieso Schweiz? «Ich habe einen starken Bezug zu diesem Land. Einer meiner wichtigsten Galeristen ist hier, also bin ich recht oft in der Schweiz.» Der Künstler schaut nachdenklich in den Himmel. «Es gab mal eine Ausstellung über Schweizer Kunst, die hiess ‹Präzision und Wahnsinn›– ich finde, das beschreibt den Charakter des Landes recht gut. Und das trifft ja auch auf meine Arbeit zu. Es wurde also langsam Zeit, dass ich endlich ein Projekt mit Menschen aus diesem Land realisiere. Seit Ende Februar bin ich hier, gezeigt wird der Film im Kunstmuseum Thurgau, die Vernissage ist am 4. September 2022. Ich bin sehr gespannt, wie er rauskommt. Auf jeden Fall wird es intensiv.»