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Liebesbrief von der Mainau zum Arenenberg

Christine Egli, stellvertretende Direktorin des Napoleonmuseums Arenenberg, staunte nicht schlecht, als sie in einem Stapel Papieren, welche das Museum erstanden hatte, einen persönlichen Brief an Louis Napoléon entdeckte. Denn es handelt sich dabei um den einzigen bekannten, an den späteren Kaiser adressierten Brief mit rein privatem Inhalt. Mehr noch: Es ist ein Liebesbrief!

Der Brief ist beinahe 200 Jahre alt, der Inhalt pikant. Verfasst wurde er nämlich nicht von irgendeiner jungen Dame, sondern von Barbara (Betty) Mumb von Mühlheim, Schwiegertochter von Fürst Nikolaus II. Ersterházy, dem Auftraggeber der prachtvollen Parkanlagen auf der Mainau und daher einer der Hauptprotagonisten des internationalen Ausstellungsprojektes «Grüne Fürsten am Bodensee». Die Herzensdame war also nicht frei, sondern verheiratet mit «Niki», dem unehelichen Sohn des Fürsten, welcher die Mainau 1827 Grossherzog Ludwig I. von Baden abgekauft hatte. Möglicherweise auch, um die Mutter von Niki und deren Kinder mit dem Titel «Freiherr von Mainau» auszustatten.

Betty, Niki und Louis
Betty lernt Niki kennen, zieht zu ihm auf die Mainau. Dort, aber auch im Thurgau, im Hegau, im Linzgau, auf dem Bodanrück und in Konstanz verkehrt die Jeunesse dorée der Zeit, so auch Louis Napoléon, der spätere Kaiser Napoleon III. Betty ist zehn Jahre jünger als Louis und fasziniert von ihm. Über die beiden wird viel getuschelt. Manche sagen, die erste Tochter von Betty sei von ihm, gezeugt auf einem Boot während der Rückreise von einem Ball zur Mainau. Zumindest schickt ihr Louis seinen engen Freund und Leibarzt Henri Conneau, um bei der Entbindung zu helfen. Auch sollen Louis und Betty eine Zeit lang eine gemeinsame Wohnung in Konstanz bewohnt haben. Als Fürst Esterházy 1833 stirbt, wird die Mainau Eigentum von Niki, dem Mann Bettys. Wie schon sein Vater kann auch Niki nicht gut mit Geld umgehen und muss infolgedessen die Mainau 1839 verkaufen. 

1841 stirbt Niki und Betty heiratet in die Familie von Fingerlin, ein altes Arboner Geschlecht, ein. Noch auf der Hochzeit wird der Bräutigam erschossen. Offiziell ein Jagdunfall. Betty zeigt sich flexibel und geht mit dem jüngsten Bruder des Verstorbenen fort. Ihre Spur verliert sich – bis sie 1848 als Marquesa Zappi an den Bodensee zurückkehrt und den Lilienberg oberhalb von Ermatingen erwirbt.

Weitere Entdeckungen stehen bevor
Die Geschichte von Betty, Louis und Niki ist Stoff für einen Roman. Und dass ihr Liebesbrief die Zeiten überstanden hat, gleicht einem Wunder. Vom Kaiser waren bisher nur mehr oder minder offizielle bzw. geschäftliche Schreiben bekannt. Zumeist Briefe, die er verschickt, nicht erhalten hatte. Man ging davon aus, die gesamte private Korrespondenz Louis Napoléons sei von ihm selbst vernichtet worden oder 1871 beim Sturm der Tuilerien durch die Pariser Commune verbrannt. Jetzt scheint wahrscheinlich, dass noch weitere private Briefe existieren.

Das Napoleonmuseum Arenenberg hat die Federführung in einem grossen dokumentarischen Projekt mit internationaler Beteiligung, bei dem unter anderem der gesamte Briefwechsel von Napoleon III. aufgearbeitet werden soll. In diesem Zusammenhang wurde im Dezember 2022 auch das Konvolut mit Papieren von Louis Napoléon ersteigert. Dabei ging es der eingangs erwähnten Christine Egli vor allem um Briefe aus seiner Zeit im amerikanischen Exil – auch diese gelten als relativ selten. Dass der Brief einer «Betty» in den Papieren zu finden ist, war zwar bekannt. Was sich dahinter versteckte, aber eine grosse Überraschung.

Das Napoleonmuseum versucht nun, Kontakte mit Verwandten der Familie Esterházy und des Marquese Zappi zu reaktivieren, um noch mehr über die vermutete Liaison des Kaisers mit Betty in Erfahrung zu bringen und vielleicht noch den einen oder anderen Brief ans Licht zu fördern. Was genau aber stand nun in dem Brief, den Betty 1836 an Louis Napoléon geschrieben hat? Lesen Sie nachfolgend eine Abschrift, in Klammern haben wir ein paar Ergänzungen und Erläuterungen eingefügt.

 

Konstanz, den 26. September [1836]

Mein teurer Louis!

Wie soll ich Dir beschreiben, was ich gestern empfand, als Conneau [enger Freund des Prinzen, lebt auf Arenenberg] mir das Geld übergab. Ich muss gestehen, dass die erste Empfindung schmerzlich war; es traten mir unwillkürlich Tränen in die Augen. Ich erwartete mit Schmerzen eine Antwort von Dir auf meine Frage, ob es wahr sei, dass Du Louise [de] Crenay [Nichte eines französischen Generals, lebt mit ihren Stiefeltern unweit des Arenenberg auf dem nach ihr benannten Schloss Louisenberg oberhalb Mannenbach] liebst, und statt dem, schickst Du mir Geld, als wolltest Du mir meine Liebe bezahlen, und damit sagen: nun sind wir quitt. – Als ich aber mehr überlegte, [kam ich zu dem Schluss] ich müsste Dir doch für die zarte Weise danken, mit der Du mir das Geld übersandtest. – Sobald ich kann, werde ich es Dir zurückerstatten. – Wo soll ich all die Worte hernehmen, um Dir meinen Dank, für alle Deine vielen Freundschaftsbeweise, so auszudrücken, wie ich es fühle. Erstens danke ich Dir für den Rat, Conneau als Arzt zu nehmen, denn oft wäre ich fast verzweifelt, in meinem Leiden, hätte ich Conneau nicht gehabt. Er vereint so sehr den wahren Freund in der Person des Arztes. Dann muss ich Dir auch noch danken, ihm Pferd und Wagen gegeben zu haben, denn wie hätte ich die letzte Zeit sonst Conneau sehen können! Und was für Opfer hast Du mir gebracht, [unleserlich] nur um Dich zu langweilen [unleserlich]. Kurzum […] innigsten Dank für alles, alles was Du für mich tatest. Wie werde und könnte ich einen solchen Freund vergessen. Ich kann Dir nicht sagen, wie traurig es mich stimmte, als ich in diese Wohnung wieder einzog. Jede Stelle erinnert mich an das ehemals und jetzt. Das Erste, was meinem Auge begegnete, war: N.B. [Napoléon Bonaparte – der Prinz benutze diesen Namen nach dem Tod des gleichnamigen eigenen Bruders; Louis liebte es, sein Monogramm in Fenster einzugravieren] in der Fensterscheibe. Ich glaubte es wirklich von Herzen nicht aushalten zu können; bei jedem Pferdegetrappel glaube ich, Du kämest. Jetzt, wo ich gottlob ganz wohl bin/nur, dass ich nicht gehen kann/Kann ich Dich nicht einmal sehen? Wirst Du denn noch lange nicht in die Stadt dürfen? [Louis Napoléon hatte Geschütze konstruiert und diese auf dem städtischen Schiessplatz abgefeuert. Einige davon explodierten, weshalb dem Prinzen für gewisse Zeit das Betreten von Konstanz verboten wurde]. Beantworte mir [bitte] auch diese Frage. Wenn es schön Wetter ist, fahre ich immer zum Paradieser-Tor hinaus [wichtigstes Stadttor von Konstanz Richtung Thurgau], gestern war ich vor- und nachmittags draussen, immer in der Hoffnung, Dich irgendwo zu treffen. Heute habe ich Valérie [Masuyer. Gesellschaftsdame von Königin Hortense] um die kleinsten Details der gestrigen Soirée auf dem Wolfsberg befragt; ich freute mich sehr zu hören, dass Du [während] des Soupers nicht neben Louise sassest. Doch ist es gewiss nicht Deine Schuld! Hier lege ich Dir auch die Haare bei. Wenn sie nur noch einen Wert für Dich haben! – Siehst Du noch oft Marie [Person derzeit nicht ermittelbar; möglicherweise die gleichnamige Schwester des Nikolaus von Mainau]? Ich habe ihr mir zuwideres Gesicht immer vor Augen! Wirst Du mir bald schreiben? Ich finde Du wartest immer sehr lange mit Deinen Antworten. Ich möchte immer, dass Conneau mir jedes Mal einen Brief brächte. Was macht mein Portrait? Würdigst Du es manchmal eines Blicks? Es wird wohl neben dem schönen Original von Louise sehr verlieren. Nun lebe wohl und antworte recht bald.

Deine Dich immer gleich liebende Betty

[ps]
Von der Mutter viel, viel Herzliches; sie reist drei Wochen nach meiner Entbindung nach Wien ab; in 3 – 4 Wochen habe ich auch die Niederkunft überstanden. Bete für mich, damit es glücklich vorübergeht [Angst vor dem Kindbettfieber]. Nach Niki's Aussage bist Du der Vater dieses Kindes; ich gratuliere Dir zu dieser neuen Würde, doch weiss ich nichts davon. Weisst Du etwas? So geschickt bist Du nicht!

[pps]
Die Mutter bittet sehr um Zeitungen. Noch einmal Adieu, cher ami, je t'aime de tout mon coeur.

[ppps]
Dürfte ich Dich wohl um eine Gefälligkeit ersuchen, nämlich, dass Conneau der Mme Lindsay [Witwe eines englischen Generals, lebt auf Schloss Hard oberhalb Ermatingen, nahe Arenenberg] beiliegende Musik von mir aus Dank zu übergeben und zugleich sie bitten, mir meine zwei Lieder, welche Maschinka [europaweit gefeierte Sängerin] einmal bei ihr vergass, [mir] zurückzusenden; sie heissen das «Lebewohl» und das [unleserlich]. Vielleicht kann Conneau sie mir morgen bringen.