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Birkenpech: Alleskleber und Heilmittel der Steinzeit

Birkenpech ist einer der ersten nachgewiesenen «Kunststoffe» – das heisst, ein Material, welches fabriziert werden muss und so nicht in der Natur vorkommt. Die Neandertaler stellten schon vor 80'000 Jahren aus Birkenrinde das Material her, verwendeten es als Klebstoff und sehr wahrscheinlich auch als Heilmittel. Auch im Thurgau wurde in den über 5000 Jahre alten jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen Birkenpech gefunden.


Die länglichen Steine mit Birkenpechspuren wurden als «Lötkolben» verwendet.

Die Herstellung des Stoffes ist eine aufwendige Sache, aber der Mühe wert. Die Menschen der Steinzeit stopften den weissen Teil der Birkenrinde unter ein umgestülptes Tongefäss. Die untere Kante des Topfes dichteten sie mit Lehm ab, machten ein Feuer drumherum, das genau die richtige Temperatur haben musste. Jetzt löste sich das schwarze Pech aus der Rinde, dieses wurde anschliessend eingekocht. Ein Prozess, den Sie gut auch heute noch mit einem kleinen Pflanzentopf (ohne Loch im Boden) in einer Feuerstelle rekonstruieren können.

Erkaltet ist Birkenpech hart und spröde. Sobald man es aber wieder erwärmt, wird es weich, formbar und klebrig. Die Menschen nutzten das Material daher als Klebstoff, um beispielsweise Steinwerkzeuge mit Holzgriffen zu verbinden oder Steinspitzen und Federn an Pfeilen anzubringen. Oft formten sie das Birkenpech zu einem länglichen Gebilde, welches sie an der Spitze erwärmen und, ähnlich wie beispielsweise Lötzinn, nach und nach verwenden konnten.


Birkenpech mit Zahnabdrücken

Birkenpech findet man nicht nur als Klumpen oder Knollen, es wurden auch Funde mit Zahnabdrücken entdeckt. Man ist sich nicht zu 100 Prozent sicher, weshalb diese «Kaugummis» gekaut wurden. Es könnte sein, dass beispielsweise ein Jäger nicht erst Feuer machen wollte, um das Birkenpech zu erwärmen, und es stattdessen kaute, um eine Pfeilspitze befestigen zu können. Das erklärt aber nicht, warum recht oft Stücke mit Kauspuren gefunden werden. Schliesslich hätte man das gekaute Stück im dargestellten Fall verarbeitet und die Kauspuren wären grösstenteils verschwunden. Wahrscheinlicher ist es daher, dass Birkenpech nicht nur Alleskleber, sondern auch Kaugummi und vielleicht sogar Naturheilmittel war. Im Birkenpech sind nämlich Betuline enthalten, welche eine antibakterielle, wundheilende und entzündungshemmende Wirkung haben und noch heute in der Naturheilkunde verwendet werden. Es ist also gut denkbar, dass unsere Vorfahren auf einem Stück Birkenpech kauten, wenn sie Zahnschmerzen hatten. Ein Selbstversuch von Museumskonservator Urs Leuzinger zeigt aber auch: Birkenpech schmeckt «grauslich, als würde man in ein Stück Holzkohle reinbeissen, das obendrein auch noch bitter schmeckt».

Die Kauspuren sind für Forschende aus einem weiteren Grund äusserst spannend. Es ist nämlich gelungen, aus einem gekauten Stück Birkenpech DNA-Spuren unserer Vorfahren zu extrahieren. Da DNA-Analysen immer besser werden und immer weniger Material dafür benötigt wird, kann man viele interessante Details, wie beispielsweise Geschlecht oder Haarfarbe, aus den DNA-Resten herauslesen. Ein entsprechendes Projekt ist nun auch im Bodenseeraum gestartet. Die Birkenpechstücke des Museums für Archäologie Thurgau werden dafür aber nicht verwendet und können nach wie vor in der Sammlung besichtigt werden.