Die wertvollen Exkremente der Pfahlbauer
Der Goldbecher von Eschenz mag das wertvollste Stück in der Sammlung sein und das Museum für Archäologie Thurgau ist froh und stolz, ihn in der Ausstellung zeigen zu können. Aber andere Funde ermöglichen viel mehr Aufschlüsse über das Leben unserer Vorfahren in ihren Pfahlbausiedlungen: Fäkalien, welche im Boden abgelagert sind.
Menschliches Exkrement aus der Fundstelle Bleiche 3 in Arbon
In den Uferlagen des Thurgaus herrschen perfekte Bedingungen, um archäologische Funde zu konservieren. Die feuchtigkeitsgesättigten Böden sorgen dafür, dass kein Sauerstoff an die frühzeitlichen Überbleibsel kommt und diese zersetzen kann. Ist eine Fundstelle auch noch vor Wind und Wellengang geschützt, bleibt alles schön an Ort und Stelle, wo es liegt.
Strandmist macht klug
Von deutschsprachigen Forschern werden die organischen Überreste schönfärberisch als «Kulturschichten» bezeichnet. In der frankophonen Archäologenwelt nennt man diese Sedimente «fumiers lacustres», also Strandmist. Das trifft es ziemlich auf den Punkt: Neben archäologischen Funden wie Keramik, Knochen, Steingeräten oder Textilresten bestehen diese «Kulturschichten», also die Schicht im Untergrund, die sich ansammelte, während ein Fundort besiedelt war, aus ziemlich viel tierischen oder menschlichen Exkrementen.
Diese Überreste sind für die Archäologen von grosser Bedeutung. Sie ermöglichen nämlich präzise Aussagen zur Ernährung, zur Gesundheit und dem Wirtschaftssystem der Pfahlbauer und sind so wichtige Mosaiksteine für das Verständnis der damaligen Gesellschaft.
Eine der bedeutendsten Fundstellen befindet sich in Arbon. Als der Werkhof und eine Umfahrungsstrasse gebaut werden sollten, musste das Amt für Archäologie zwischen 1993 und 1995 eine Rettungsgrabung auf über 1000 Quadratmetern Fläche vornehmen. Der Grossteil der prähistorischen Artefakte liegt aber noch im feuchten Untergrund – dort sind sie am besten aufgehoben.
Ziegen mit Auslauf
Der Fundort in Arbon ist eine hervorragende Zeitkapsel, weil nicht nur der Boden feucht ist, sondern sich ausserdem der Seespiegel schnell hob und die 5400 Jahre alte «Kulturschicht» mit einer schützenden Sandschicht überdeckte. Auch gibt es kaum Wellenschlag. Daher fand man in Arbon beispielsweise sehr viel Ziegenkot, was nicht nur aufzeigt, dass die Tiere mitten im Dorf gelebt haben – man kann auch genau nachvollziehen, was sie zu fressen bekamen. Damals war die Gegend dicht bewaldet. Es gab also kein Gras, das man als Heu einlagern konnte. Daher bekamen die Ziegen im Winter entweder getrocknete Blätter von Laubbäumen oder immergrüne Pflanzen wie Weisstannenzweige oder Efeu als Futter. Auch Misteln und früh blühende Pflanzen wie der Haselstrauch standen auf dem Menüplan.
Aus dem Ziegenkot kann man vieles über das damalige Leben herauslesen.
Im Sommer assen nicht nur die Menschen, sondern auch die Ziegen Himbeeren und Brombeeren. Auch konnten die Forscher feststellen, dass die Tiere sehr gesund waren – es fanden sich keine Parasiten in deren Kot. Das deutet darauf hin, dass die Tiere viel Auslauf hatten, also durchs ganze Dorf trabten. So konnten sich Parasiten, die ein Tier befielen, nicht so schnell auf andere Tiere übertragen, wie wenn sie eng zusammengepfercht gelebt hätten.
Frösche und Moos
Die Pfahlbauer selbst waren hingegen von jeder Menge Parasiten befallen. Das lag wohl vor allem am Verzehr von rohem oder nur halb gekochtem Fisch oder Fleisch. Es wurden auch Parasiten im menschlichen Kot entdeckt, die vorwiegend bei Fröschen vorkommen. Das und die vielen Froschschenkelknochen (teilweise mit Verdauungsspuren) zeigen, dass diese Amphibien ein fixer Bestandteil der Ernährung waren.
Die Pfahlbauer schienen auch eine Art WC-Papier gekannt zu haben. Man fand in Arbon nämlich jede Menge Moos. Dieses wurde einerseits, zusammen mit Lehm, zum Abdichten der Wände benutzt. Andererseits fand man auch viel Moos, auf dem sich zahlreiche Beerensamen befanden. Diese waren sehr wahrscheinlich mit dem Kot der Menschen ausgeschieden worden. Beim Abwischen gelangten die Samen dann auf das Moos.